24 February 2021

[DE] Fragen und Antworten. Aneta Grzeszykowska im Gespräch

Aneta Grzeszykowska, 'Family Skin', Ausstellungsansicht, Foto: Michael Maritsch
[DE] Fragen und Antworten. Aneta Grzeszykowska im Gespräch
Aneta Grzeszykowska, 'Family Skin', Ausstellungsansicht, Foto: Michael Maritsch

E-Mail-Unterhaltung zwischen Rainald Schumacher und Aneta Grzeszykowska im Herbst und Winter 2020

Ich möchte versuchen, direkt auf den spannenden Mittelpunkt deiner künstlerischen Arbeit zu sprechen zu kommen. Offensichtlich geht es in deinem Werk um so etwas Verschwommenes wie die Existenz: Hier zu sein, ein Mensch zu sein, in einem bestimmten Körper oder einer bestimmten äußeren Schale. In vielen deiner Bilder schlüpfst du in solche Hüllen, Kleidungsstücke, Verkleidungen oder Make-up. Deine Fotografien sind Dokumente derartiger Momentaufnahmen ‘hier und jetzt’, die dich selbst zeigen. Es handelt sich dabei nicht um Schnappschüsse, sondern um raffiniert konstruierte Bilder. Welche Art von Existenz ist auf den Fotografien zu sehen? Bist du das, bzw. welche Bestandteile und Aspekte stammen von dir?

In meinem Werk entwickle ich auf theoretische Art und Weise eine spezifische Idee des Heraustretens aus dem eigenen Körper – und folglich auch der Existenz. Beide wurden ersetzt durch Cindy Sherman, tote Tiere, auf meinen Körper gemalte Bilder von mir, einen Doppelgänger, eine Puppe… Im Moment befinde ich mich in einer Phase, in der mein Körper durch den Körper meiner Tochter ersetzt wird.

Dieses Heraustreten aus meiner eigenen Existenz findet jedoch auch auf einer ganz grundsätzlichen Ebene in meiner Arbeit statt – ich bin nämlich nicht das Thema meiner Werke. Meine individuelle Identität und mein vorhandener bzw. ersetzter Körper werden lediglich zu einem Beispiel, anhand dessen ich versuche, universellere Ideen zu analysieren. In diesem Sinne sind mein Körper, meine Identität und meine Existenz lediglich Material für die künstlerische Arbeit.

Kannst du einige dieser universellen Ideen definieren?

Mein Körper, meine Identität und meine Erfahrungen sind lediglich beispielhaft, sie sind alltäglich und transparent, sodass sich andere Menschen leicht mit den Gefühlen identifizieren können, die durch meine Werke hervorgerufen werden.

In deinen Arbeiten verwendest du gelegentlich Masken aus Leder. Unterscheiden sich diese Masken von Fetisch-Objekten?

Sie sind sich zweifelsohne formal ähnlich, weil sie, wie Fetisch-Gegenstände, aus Leder gefertigt sind. Bei meinen Werken hat dieses Leder jedoch eine andere Bedeutung. Es ist für mich immer noch eine Haut; sie war zuvor zu Kleidung verarbeitet worden, doch ich verwandele sie in das zurück, was sie einst war – der Körper. Ich habe versucht, dieses Thema in Selfie zu analysieren, das ebenfalls Objekte aus Haut zeigt. Aber in diesem Fall befindet sich diese Haut in drei unterschiedlichen Stadien: lebendig – das sind meine Hände; tot – die Skulpturen; das tote Objekt – lediglich Hintergrund.

Aneta Grzeszykowska, ‘Family Skin’, Ausstellungsansicht, Foto: Michael Maritsch

Beauty Masks hat ebenfalls eine gewisse merkwürdig fetischistische Anmutung. Das bist immer du, die diese Masken trägt. Die meisten von ihnen deformieren das Gesicht, den Mund, die Lippen, die Wangen und das Kinn in erheblicher Weise. Auch diese Serie weist diese performative Qualität auf.

Die Serie Beauty Masks zeigt mich, wie ich mit den in ganz normalen Geschäften gekauften Masken posiere – Masken, die die Menschen benutzen, um sich schönzumachen. Für mich ist es sehr interessant, dass diese realen Objekte den Körper so modellieren, als wäre er eine Skulptur. Die Menschen formen ihren Körper, um ihn ideal und schönzumachen, als ob sie zeitgenössische Künstler wären. Natürlich ist dieser Aspekt voller Gewalt und führt zu Assoziationen mit extremen sexuellen Praktiken, Kampfsportarten und Tarnung zu kriminellen Zwecken. Interessant ist jedoch, dass diese Vorgehensweisen nicht neu sind. In dem Buch Hygiene of The Face and Cosmetic Guide (Leitfaden für Gesichtshygiene und Kosmetik) von Richard W. Müller[1] aus dem späten 19. Jahrhundert sind ähnliche Beispiele von Gesichtsmasken zu finden, die zur Erhaltung der Schönheit des Gesichts eingesetzt wurden.

Diese Masken ähneln auch jenen Kostümen, die ich getragen habe, um meine Identität zu verändern. Mein Körper ist nur durch die Löcher zum Atmen und Sehen sichtbar. Der interessanteste Teil ist meiner Meinung nach das, was verborgen bleibt – ein deformiertes Gesicht.

Jahre später bist du gewissermaßen wieder auf das Thema Deformation zurückgekommen. Was du bei Face Book mit deinem Gesicht mithilfe von Tapes und Schnüren gemacht hast, scheint eher eine persönliche Folter zu sein.

Face Book ist so etwas wie ein weiterer Schritt hin dazu, das zu zeigen, was in Beauty Masks verborgen war.

Foto-Diptychen zeigen charakteristische ‚emotionale Ausprägungen‘ des Gesichts; sie sind wie ein Buch der Gesichter. Tatsächlich nimmt die Serie Bezug auf Fotografien aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die psychophysiologische Experimente am menschlichen Körper dokumentieren, und auf jene drastischen Porträts aus medizinischen Archiven, die frühe Versuche der plastischen Chirurgie zeigen, die zum Beispiel an Kriegsveteranen durchgeführt wurden. Emotionen sind eine Art Maske, die ich aufsetze. Selbst wenn ich die Position meines Kopfes verändere, bleibt die Emotion dieselbe. Es war für mich interessant, etwas so schwer Fassbares wie ein Stirnrunzeln in mein Gesicht hinein zu meißeln. Etwas, das mit einem normalen Foto nur schwer zu fassen ist, wurde in dieser Serie in das Gesicht eingekerbt, was eine unbegrenzte Aufnahmezeit möglich machte.

Bereits 2005 hast du fünfzehn Porträts von nicht existierenden Personen erstellt, nur mit digitalen Werkzeugen. Etwas, das mittlerweile zur gängigen Praxis geworden ist, um den eigenen Auftritt in den Sozialen Medien aufzuwerten und aufzumotzen. In einigen Titeln deiner Serien nimmst du direkt Bezug auf die Sozialen Medien: Face Book, Selfie. Steckt da eine Strategie dahinter? Möchtest du damit einen Kommentar zu diesen Werkzeugen unseres täglichen Austausches von fotografischen Bildern abgeben?

Ich habe den Eindruck, dass einige Wörter, wie face (Gesicht) und book (Buch), gewissermaßen aus unserer Sprache gestohlen wurden. Es ist, als ob auch diese Emotionen gestohlen worden wären. Sagen wir also, meine Serie ist nur das Buch der Gesichter, und Selfie ist nur die Serie der Selbstporträts.

Aneta Grzeszykowska, ‘Family Skin’, Ausstellungsansicht, Foto: Michael Maritsch

Da du Cindy Sherman erwähnst: da sprechen wir über deren ikonische Untitled Film Stills von 1977 bis 1980. Du hast alle 70 Schwarz-Weiß-Motive dieser Serie 2006 in Farbe ‚nachgestellt‘. Wie lange hast du gebraucht, um diese Szenen zu produzieren und in die 70 verschiedenen Frauenrollen und imaginären Identitäten zu schlüpfen? Hast du nur für die Kamera gespielt und posiert oder hast du diese Schichtungen für verschiedene Frauen auch in deinem ‚echten‘ Leben benutzt?

Es hat mich fast ein ganzes Jahr Arbeit gekostet, aber ich war nicht in Eile. Meine zugrundeliegende Motivation, die ich bereits erwähnt habe, ist in dieser Serie deutlich sichtbar. Es ging mir nicht so sehr darum, die Rollen zu spielen, wie im Falle des Originals, sondern meine Person, meinen Körper und vor allem meine künstlerische Identität abzulegen. Im Rahmen des Konzepts für ein Kunstwerk scheint dies so etwas wie künstlerischer Selbstmord zu sein. Paradoxerweise wird Cindy Sherman, die in ihrem eigenen Werk in ganz unterschiedliche Rollen geschlüpft ist, in meinem wieder sie selbst, obwohl diesmal ihr Körper, der durch meinen ersetzt wird, in Wirklichkeit verschwindet. Und sie beginnt, die einzige Rolle zu spielen – die der berühmten Künstlerin.

Am Beispiel dieser Arbeit kann man deutlich die Funktion meines Körpers und meiner Identität erkennen, die ich erwähnt habe – sie sind ein transparentes Medium. Das Thema, verschiedene Frauenrollen zu spielen, war für mich zweitrangig und nicht besonders interessant. Mich interessierte vielmehr auch die Frage, ob das Aufgeben meines eigenen künstlerischen Egos ein Akt der Selbstbezogenheit sein könnte.

Du sagst: „Ich lege meine Person, meinen Körper und meine künstlerische Identität ab“. Findet in der Halina-Serie etwas Ähnliches statt? Und wer ist bzw. war Halina?

Vor einiger Zeit habe ich mich im Auftrag der Stiftung Archäologie der Fotografie[2] mit dem Archiv von Wojciech Zamezcnik[3] beschäftigt, der nicht nur Plakatkünstler war, sondern auch viel fotografiert hat. In dem umfangreichen Archiv seiner Familie fand ich elf Fotos, die er von seiner Frau gemacht hat. Sie sind sehr spezifisch: Sie bilden einige zufällig ausgewählte Teile ihres Körpers ab. Wahrscheinlich waren es Fotos, die er für die Produktion von Postern verwenden konnte. Ich habe den Rahmen der Fotos erweitert, indem ich meinen eigenen Körper unter ihre abgebildeten Fragmente gelegt habe. Und weil ich diese Fotos selbst gemacht habe, indem ich den Fernauslöser der Kamera in der Hand hielt, sieht es so aus, als ob sie – Halina Zamecznik – die Urheberin dieser Fotos wäre.

Also, ja: Dies ist eine Umkehrung der Künstler-Model-Hierarchie und damit der künstlerischen Identität. Mich hat vor allem die Tatsache interessiert, dass paradoxerweise ich es bin – physisch unsichtbar auf diesen Fotos -, die die Autorenschaft übernimmt und gleichzeitig zu Urheberin und Modell wird.

Aneta Grzeszykowska, ‘Family Skin’, Ausstellungsansicht, Foto: Michael Maritsch

Richten wir unser Augenmerk auf Love Book. Auf den ersten oberflächlichen Blick handelt es sich um ziemlich erotische und sexualisierte Collagen zweier Frauen. Schaut man sich das Impressum des Leporellos an, so findet man eine Art Who is Who der klassischen feministischen Kunst: Helen Chadwick, Theresa Hak, Kyung Cha, Birgit Jürgenssen, Ana Mendieta, Hannah Wilke und Francesca Woodman. Wie interpretierst du diese Collagen?

Ich interessiere mich für tote Künstlerinnen. Genauer gesagt, das, was von ihnen übrig geblieben ist: Bilder, die vom Körper getrennt sind. Der Tod ist ein Tabu für uns. Wir verdrängen ihn aus unserem Bewusstsein, aber das ändert nichts daran, dass wir immer wieder von ihm fasziniert sind, was man besonders am Beispiel von toten Künstlerinnen sehen kann.

In Love Book platziere ich meinen eigenen Körper – oder vielmehr dessen Bilder – neben die Körper von Künstlerinnen, und zwar in einem spezifischen Verhältnis von Liebe und Gewalt. Alle Künstlerinnen, die ich in dieser Arbeit erwähnt habe, benutzten einen nackten Körper, um sich zu feministischen Themen zu äußern. Und ich begehe eine Art von Vergewaltigung an ihnen. Eine physische Vergewaltigung, die sich im Bild der ‚Liebe‘ ausdrückt; und eine ideologische Vergewaltigung, weil sie ihre Körper für einen ganz anderen Zweck benutzt haben. Im Gegensatz dazu objektiviere ich sie in gewisser Weise. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass meine Geste auch ein feministischer Akt ist. Allerdings ist die Aktion in meinem Fall pervers und radikal.

Man kann vielleicht sagen, dass eine Person in einer Fotografie ‚existiert‘, dass sie zumindest in diesem fotografischen Moment ‚existiert hat‘. Lassen wir die Frage nach analoger, digitaler oder virtueller Manipulation einmal außen vor. Wie würdest du eine solche Form des ‚Seins‘ oder der ‚Existenz‘ in einer Fotografie beschreiben?

Ich denke, das Bild der Person auf den Fotografien ist eine Art Spiegel, der unsere Gefühle reflektiert. In den Serien Untitled (Model) und Mama habe ich versucht, mich auf dieses Thema zu konzentrieren, indem ich eine hyperrealistische Skulptur von mir fotografiert habe, die in Wirklichkeit ein totes Ding war. Die Betrachter dieser Serien haben dieses Objekt personifiziert und es mit ihren eigenen Empfindungen zum Leben erweckt.

In Wirklichkeit sind wir es also, die in den Fotografien existieren, indem wir die fotografierten Menschen beobachten. Natürlich hat das heute eine besondere Bedeutung, wo das Bild ‚realer‘ ist als die Realität und unsere emotionale Existenz und die der anderen häufig auf das Bild beschränkt ist.

Das ist genau das, was du für Untitled (Model) und die gesamte Mama Serie gemacht hast: ein lebensgroßes Modell deines Kopfes und Oberkörpers. Dieses Körperdouble ist bemalt, geschminkt und mit künstlichen Augen, Wimpern und Haaren ausgestattet. Das Auge der Kamera und die Art, wie du es fotografiert hast, verwandeln das künstliche, tote Objekt in etwas Reales. Für das Auge des Betrachters ist es real. Es sieht beinahe echt aus, und da es ein menschlicher Körper ist, könnte er lebendig sein oder lebendig gewesen sein.

„Es ist nur ein Film bzw. ein Foto“ – ein solcher Kommentar während eines Films voller Angst, Panik und Spannung, ändert nichts an diesem Gefühl und der Emotion des Erschreckens. Spielst du bewusst mit solchen filmischen, magischen Tricks?

Ja, natürlich. Ich wollte schon immer Regisseurin sein, und letztendlich, denke ich, bin ich es geworden. Mein künstlerisches Schaffen besteht darin, mein eigenes Leben nach den Bedürfnissen der Arbeit auszurichten und umgekehrt. Die Puppe ist ein Phantom, an dem alles gefahrlos ausprobiert werden kann. Sie ermöglicht es, eine Art Katharsis zu erleben. Meine Arbeiten sind ein bisschen wie Tragikomödien, mit schrecklichen und komischen Elementen, genau wie im richtigen Leben.

Aneta Grzeszykowska, ‘Family Skin’, Ausstellungsansicht, Foto: Michael Maritsch

Der Titel deiner Ausstellung lautet Family Skin. Als du den Titel in einer frühen Phase der Ausstellungsplanung vorgeschlagen hast, stellte ich mir eine komplexe Geschichte über eine Art Haut oder Hülle für dieses Konstrukt von ‚Familie‘ vor. Aber in erster Linie hattest du den Bezug zu Schönheits- und Hautpflegeprodukten im Sinn, oder?

Family Skin bezieht sich auf den merkwürdigen Ausdruck ‚Family Skin Care‘, der aus der Kosmetik stammt.

Interessant finde ich, dass man, wenn man das Wort ‚care‘ weglässt, einen Ausdruck erhält, der vergleichbar ist mit dem bestehenden: ‚family blood‘. Ich glaube, dass sich Family Skin in diesem Zusammenhang mehr auf die Oberfläche bezieht, was wiederum mehr mit Repräsentation zu tun hat.

Ich denke, der Titel vereint alle Themen der Ausstellung, die bereits in meinen Serien Selfie, Beauty Masks, Mama etc. zu sehen waren.

Im Jahr 2011 wurde deine Tochter Franciszka geboren. Ich glaube, im selben Jahr hast du eine der ersten Skulpturen angefertigt. Sie zeigt eine lebensgroße Puppe aus Wolle, die eine Art Mäusekostüm trägt. Die Skulptur ist nach deiner Tochter benannt und der Titel beinhaltet auch das Jahr 2014. Mit welchen Überlegungen hast du dich beschäftigst als diese Arbeit entstand?

Am Anfang waren die Puppen aus schwarzer Wolle und stellten bis dahin ausschließlich mich  dar. Dann wurde unsere Tochter Franciszka geboren. Ich fing an, Puppen zu nähen, die sie abbilden, allerdings sie in der Zukunft – weiß. Ich wollte sie unbedingt nähen, und sie war noch nicht erwachsen, ich hatte keine Erinnerungen an sie, nur meine Fantasievorstellungen. So kam ich zu dem Schluss, dass ich einfach diese Imaginationen nähen werde. Jede der weißen Puppen ist oder wird begleitet von einer passenden Fotografie von Franciszka, sobald sie das bestimmte Alter erreicht hat. Es war für mich interessant, die Reihenfolge umzudrehen – die Kunst ist hier ein Prototyp der Realität, und nicht andersherum. Es ist eine Geschichte über unsere Erwartungen; darüber, wie wir unsere Kinder formen, auch wenn wir es nicht wollen.

Auch Mama, die Serie, kehrt die Reihenfolge um. Das Kind spielt mit einer Puppe, die keine Babypuppe ist, sondern ihre eigene ‚Mama‘. Aus der Außenperspektive, als naiver ‚Kinderpsychologe‘, kann es auch schrecklich und unverantwortlich erscheinen, was du mit deinem Kind machst. Es spielt mit einer Art ‚Leichenpuppe‘. Gleichzeitig sieht es aber auch sehr unschuldig und glücklich aus, wie deine Tochter mit diesem Torso umgeht.

Du hast am Anfang eine wichtige Veränderung in deiner Arbeit erwähnt. „Im Moment befinde ich mich in einer Phase, in der mein Körper durch den Körper meiner Tochter ersetzt wird“. In der Ausstellung sind drei neue Collagen zu sehen. Diese wurden hinzugefügt, um einen Einblick in die mögliche Zukunft deiner Arbeit zu geben. Sie stammen aus einer neuen Serie Funny Book, die Fotografien deiner Tochter zeigt, die mit Perücken und Kleidern spielt. Diese Aufnahmen sind mit Fotos von Zeichnungen zu einer Collage zusammengefügt worden. Ich vermute, diese Zeichnungen sind ebenfalls von deiner Tochter. Du hast mir erzählt, dass du während des Lockdowns längere Zeit auf dem Land verbracht hast. Hat das Auge deinder Kamera deine Tochter erforscht, nicht nur als Tochter, als junges Mädchen, sondern als künstlerisches Sujet? Hat der Körper deiner Tochter, fotografiert, eine ähnliche Rolle gespielt wie dein eigener Körper in deinen früheren Serien, oder worin liegt der Unterschied?

In KwieKuliks[4] klassischem Werkzyklus Activities with Dobromierz[5](1972-1974) begannen die Künstler kurz nach der Geburt ihres Sohnes Maksymilian Dobromierz, ‚ihr Kind in ihrer Kunst zu verwenden‘. Der Sohn des Künstlerpaars erscheint neben verschiedenen Haushaltsgegenständen, während sie versuchten, die vermeintliche Subjekt-Objekt Polarität in der künstlerischen Erfahrung praktisch zu untersuchen. Wenn ich meine Tochter fotografiere, mache ich sie zum Gegenstand des Werkes. Franciszka ist hier eine aktive Teilnehmerin und ist Gestalterin des Geschehens. Ich tausche die Rollen zwischen Mutter und Tochter, Kind und Erwachsenem, Künstler und Modell. Indem ich die allgemein akzeptierte Konvention überschreite, mache ich meine Tochter zur Akteurin, zur Urheberin. Franciszka ist diejenige, die den Ton für das Geschehen angibt, die die Zügel in die Hand nimmt und die allgemein akzeptierten Machtverhältnisse umkehrt. Ich betrachte diese Situation ein wenig wie ein Regisseur. Ich beobachte eine bestimmte Situation, die sich in meiner Umgebung abspielt, und wähle die richtigen Mittel, um die Geschichte zu erzählen. Und in gewisser Weise, ja – sie ersetzt mich, weil sie anstelle von mir auf den Bildern zu sehen ist. Aber das ist kein Zweck an sich. Vielmehr liegt es daran, dass ich bei der Arbeit immer das mache, was mich am meisten interessiert. Und ich habe eben das Interesse an mir verloren, aber nicht das an meiner eigenen Tochter.

Aneta Grzeszykowska, ‘Family Skin’, Ausstellungsansicht, Foto: Michael Maritsch

Dieser Text stammt aus dem Katalog zur Ausstellung Aneta Grzeszykowska – Family Skin, die vom 28. Oktober bis 5. April 2021 im Francisco Carolinum Linz stattfand, kuratiert von Rainald Schumacher und Nathalie Hoyos.


[1] Müller, Richard W. (Hg.): Hygiene of the Face and Cosmetic Guide, 1850 -, Nachdruck, Wentworth Pr., 2016

[2] Fundacja Archeologia Fotografii, die Stiftung wurde 2008 in Warschau gegründet und widmet sich dem Erhalt, der Dokumentation und der Vermittlung privater polnischer Fotoarchive. https://faf.org.pl (abgerufen 01.2021)

[3] Wojciech Zamecznik (1923–1967) war einer der wichtigen Vertreter der Polish School of Poster, die vor allem in den 1960er und 1970er Jahren internationale Beachtung fand.

[4] KwieKulik waren zwischen 1971 und 1987 als Künstlerpaar aktiv. Sie zählen zu den wichtigen Akteuren der polnischen Kunst. Das Duo bestand aus Przemyslaw Kwiek (*1945) und Zofia Kulik (*1947).

[5] Zwischen 1972 und 1974 produzierte das Künstlerduo KwieKulik gut 900 Aufnahmen (Farbdias und schwarz-weiß Negative) mit ihrem kleinen Sohn in arrangierten Inszenierungen.

Imprint

ArtistAneta Grzeszykowska
ExhibitionFamily Skin
Place / venueFrancisco Carolinum, Linz, Österreich
Dates28. Oktober 2020 - 05. April 2021
Curated byNathalie Hoyos und Rainald Schumacher
Websitewww.ooelkg.at/en/location/landesgalerie-linz.html
Index

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